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Welche Fortschritte macht die Therapie-Forschung?

Die neuromuskuläre Erbkrankheit Spinalen Muskelatrophie (SMA) betrifft vor allem Kinder. © ktsimage / iStock / Thinkstock

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Seltene Krankheiten: Welche Fortschritte macht die Therapie-Forschung?

Kürzlich erhielt das Medikament Nusinersen zur Behandlung der Spinalen Muskelatrophie (SMA) die europäische Zulassung – ein Durchbruch für die neurologische Forschung, denn gegen die seltene schwere Erbkrankheit gab es zuvor keine Therapieoption. Auch in Deutschland gibt es eine zunehmend aktive Szene, die Seltene Erkrankungen erforscht. Die Neurogenetikerin Prof. Christine Klein aus Lübeck präsentierte auf dem 90. DGN-Kongress einen Überblick über jüngste Erfolge.

Geschätzt 80 Prozent der 5000 bis 6000 Seltenen Erkrankungen haben eine Beteiligung des Nervensystems. Damit ist das Fachgebiet der Neurologie die Domäne für Seltene Erkrankungen. „Heute stehen nur für etwa für 10 Prozent der Seltenen Erkrankungen spezifische Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung“, sagt Professor Klein. Die Mehrzahl der Seltenen Erkrankungen hat eine genetische Ursache. Das Wissen um die auslösenden Erbgutveränderungen wächst derzeit rasant. Daraus ergeben sich immer öfter Ansätze für neue Therapien.

Antisense-Technik bremst SMA

Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung rasch und gezielt zum Patienten zu bringen ist das Ziel der translationalen Forschung. „Dafür ist es wichtig, dass interdisziplinäre Forscherteams Hand in Hand arbeiten“, sagt Professor Klein. Im Fall der Spinalen Muskelatrophie (SMA) ist das kürzlich beispielhaft gelungen (die DGN berichtete). Die neuromuskuläre Erbkrankheit betrifft vor allem Kinder.

Aufgrund eines Gendefekts gehen Nervenzellen zugrunde, die Bewegungen kontrollieren, weshalb die Muskulatur, einschließlich der Schluck- und Atemmuskulatur, degeneriert. Das im Juni zugelassene Medikament verlangsamt das Fortschreiten der Erkrankung. Dafür nutzt es einen molekularen Mechanismus, der an der Ursache der Erkrankung ansetzt: Antisense-Oligonukleotide blockieren die Boten-RNS und verändern so gezielt die Expression einzelner Gene.

Die Antisense-Technik ist auch für andere seltene Erbkrankheiten eine vielversprechende Option. Derzeit laufen Therapiestudien bei der Huntington-Krankheit. Für die Muskeldystrophie Typ Duchenne ist bereits eine molekulare Therapie auf der Basis von Antisense-Nukleotiden zugelassen, woraus sich erstmals eine kausale Therapieoption ergibt.

Aufklärungsquoten steigen

Dank neuer diagnostischer Möglichkeiten wächst das Wissen in der Neurogenetik derzeit rasant. Mit der Einführung des Sequenzierens der nächsten Generation (next generation sequencing) konnten die Aufklärungsraten bei Patienten mit seltenen erblichen Erkrankungen in den letzten Jahren von 5 auf circa 40 Prozent erhöht werden.

„Hieraus ergeben sich entscheidende Neuausrichtungen in der Diagnostik und Therapie von Seltenen Erkrankungen sowie der Beratung der betroffenen Patienten und Familien“, betont Professor Klein. Neurogenetische Diagnostik ist Detektivarbeit. Denn etwa 5 Prozent der diagnostizierten Patienten haben, wie Studien zeigen, sogar zwei unterschiedliche genetische Erkrankungen. Bei rund 70 Prozent lösen Neumutationen die Erkrankung aus, bei ihnen fehlt ein wichtiges Erkennungszeichen für Erbkrankheiten, die positive Familienanamnese.

„Außerdem gibt es viele sogenannte Varianten unklarer Signifikanz, bei denen der Neurologe nicht mit Sicherheit sagen kann, ob ein genetischer Befund eine seltene, harmlose Variante oder krankheitsrelevant ist“, erklärt Professor Klein. „Die große Vision ist, die Bedeutung dieser Varianten und ihr Zusammenspiel mit anderen genetischen Varianten, epigenetischen Einflüssen und Umweltfaktoren zu verstehen“.

Zentren für Seltene Erkrankungen

„Das Fachgebiet der Seltenen und Neurogenetischen Erkrankungen wird in der Ausbildung von Neurologen eine zunehmend wichtige Rolle spielen“, ist Professor Klein überzeugt. Auch Patienten seien durch neue Medien und einen gewissen Kulturwandel immer besser vorgebildet. In Deutschland entwickelt sich eine aktive Szene von Zentren für Seltene Erkrankungen.

Datenbanken werden für die Forschung immer bedeutender, weil auf diese Weise das Wissen über Ausprägung und Krankheitsverläufe systematisch erfasst und gebündelt wird und gegebenenfalls Patienten für krankheits- oder symptomspezifische klinische Studien ausgewählt werden können.

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)


Literatur:

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