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Digital vernetzt: 70 Prozent der Deutschen nutzen das Netz, um Gesundheitsinformation zu finden. © HASLOO/ iStock / Thinkstock

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Gesundheitsmarkt: Gesund, gesünder, digital?

Die Digitalisierung hat alle Branchen und Lebensbereiche erreicht und kommt auch in der Medizin voran. Doch was bedeutet „digitale Gesundheit“ konkret? Neben medizinischer Informations- und Kommunikationstechnologie zur Optimierung der medizinischen Versorgung im ersten Gesundheitsmarkt geht es um einen besonderen Trend – den dritten Gesundheitsmarkt.

Tinnitracks-App: Der störende Tinnitus wird durch das Hören der eigenen Lieblingsmusik reduziert. © Tinnitracks / made with mockdrop, by shredplates

Der etablierte Gesundheitsmarkt befasst sich vor allem mit der Diagnose und Therapie von Krankheiten. Er bildet dabei die klassische, gesetzlich verankerte Gesundheitsversorgung von Leistungserbringern und Kostenträgern ab. Im zweiten Markt dreht sich alles um privat finanzierte Leistungen.

In der digitalen Gesundheit, dem dritten Markt, entwickeln sich dagegen neue Geschäftsmodelle. Angetrieben durch das Eigenengagement von Betroffenen, Patienten und Angehörigen entsteht ein vielfältiges Angebot an Apps und Wearables, die die künftige Versorgung prägen.

Eine große Menge an Information gibt es kostenfrei, doch Interessierte zahlen auch freiwillig. Ganz neu in dritten Markt etablieren sich Krankenkassen, die Apps finanzieren oder Zuschüsse für Smartwatches geben. Im September 2015 gab etwa die Techniker Krankenkasse bekannt, die Behandlung des Tinnitus per App zu finanzieren: Tinnitracks reduziert das störende Geräusch durch das Hören der Lieblingsmusik.

Dr. Thomas Nebling, Projektleiter Versorgungsmanagement der Techniker Krankenkasse: „Das Interesse am Tinnitracks-Angebot ist hoch. Uns erreichen derzeit viele Kundenanfragen. Weiterhin haben uns einige Ärzte schon zurückgemeldet, dass sie viele Patientenanfragen hierzu verzeichnen. Das Versorgungsangebot läuft jedoch gerade erst an.“

Zahl der Gesundheits-Apps steigt rasant

Die Patientus-App ermöglicht zum Beispiel eine Videokommunikation mit dem Wunscharzt. © Patientus.de

Lediglich eine überschaubare Menge des App-Angebotes dient bisher den Abläufen und der Information der Leistungserbringer. Beispiele hierfür gibt es im Kontext der Bildgebung in der Radiologie. Klassische Telemedizinanwendungen, die den ortsunabhängigen Austausch von Arzt und Patient per Internetverbindung ermöglichen, sind in Deutschland streng reguliert und selten. Ein Beispiel dafür zeigt die Patientus-App für Dermatologen.

„Wir bieten sichere Videokonferenzen zwischen Arzt und Patient. Neben der reinen Audio- und Videoübertragung können Bildmaterialien und medizinische Dokumente ausgetauscht werden“, so Nicolas Schulwitz, Geschäftsführer der Patientus GmbH nach Gewinn des cdgw-Zukunftspreises.

Das viel diskutierte – allen Kritikern zum Trotz – pünktlich verabschiedete E-Health-Gesetz sieht vor, telemedizinische Lücken zu schließen. So werden ab 2017 Online-Videosprechstunden in die vertragsärztliche Versorgung aufgenommen. Die Digitalisierung dient hier vor allem ländlichen Regionen, sie soll den ortsunabhängigen Zugang zur Versorgung fördern.

Die meisten Patienten, die Gesundheitsapps nutzen, sind Personen mit einer chronischen Erkrankung. Kassen bieten heute viele eigene Apps an; auch erste unabhängige (wie Tinnitracks) werden nach Prüfung finanziert. Insgesamt wächst der Markt extrem, 2015 gab es 103.000 Neuzulassungen weltweit; Google und App Store bieten je 70.000 Gesundheits-Apps. Diese richten sich einerseits an Gesunde – in den Bereichen Fitness, Ernährung und Prävention –, dienen andererseits jedoch der Behandlung von Diabetes oder Heuschnupfen1.

Markt-Treiber sind Bürger und Betroffene

Oft treiben Betroffene diese Entwicklung voran: sie erkennen, dass Apps schnell, praxisorientiert und unkompliziert sind. Im Gegensatz dazu verhindern manche etablierte Marktteilnehmer die Entwicklung, wie das Beispiel der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) seit über zehn Jahren zeigt.

Im letzten Herbst boten zahlreiche Kongresse wie der Zukunftskongress der Techniker Krankenkasse, der Gesundheitskongress des Westens oder die Herbsttagung der Krankenhaus-IT-Leiter ein breites Spektrum von Themen der digitalen Gesundheit. Zum einen zeigten sie umfassende Möglichkeiten für Patienten auf, sich zu informieren. Ferner diskutierten Gesundheitsfachleute und Politiker über die Auswirkungen demographiebedingter Bedarfssteigerung, der Gesundheitskommunikation über soziale Medien oder auch der medizintechnischen Innovation.

Vieles davon beeinflusst die Leistungserbringung und ermöglicht neue Wege: Früherkennung, Kosteneinsparung und Qualitätsverbesserung. „m-Health“ bringt Information und Kommunikation an den Ort der Behandlung, direkt zum Patienten. Fast jeder Deutsche nutzt mittlerweile das Internet; ein Smartphone besitzen über 90 Prozent der Jugendlichen, sogar bei den Ältesten beträgt der Anteil 57 Prozent2.

70 Prozent der Deutschen nutzen das Netz, um Gesundheitsinformation zu finden3 und in Blogs und Foren werden Empfehlungen und Bewertungen ausgetauscht.

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Risiken der digitalen Gesundheit für IT-Nutzer – Medienkompetenz wichtig

Verbraucher müssen die unendliche Informationsfülle verarbeiten und lernen, glaubwürdige relevante Gesundheitsdaten herausfiltern. Viele Nutzer vertrauen Bekannten in sozialen Netzwerken mehr als Anbietern medizinischer Produkte, denen sie kommerzielle Ziele unterstellen. Häufig wird der Datenschutz vernachlässigt, die Privatsphäre missachtet oder das Recht am geistigen Eigentum aus Unkenntnis verletzt.

Die enormen Datenmengen (Big Data) bieten zwar Vorteile für die Forschung und die medizinische Praxis, sie bergen aber auch Risiken. Große, bekannte Anbieter nutzen und werten alles aus, schließen neue Partnerschaften wie Apple und IBM4 oder arbeiten bereits mit Universitäten an Studien. Kontinuierliche Diskussionen um die Big Data Initiative des National Health Service (NHS – das staatliche Gesundheitssystem Großbritanniens) verdeutlichen die künftige Relevanz dieser Datenmengen.

Aktuelle Beispiele

Smartwatches können neben der Uhrzeit Informationen aus Apps darstellen. © scanrail / iStock / Thinkstock

Viele Wearables sind Spielerei oder Statussymbol, durchdringen aber sämtliche Gesellschaftsschichten. Im Jahr 2015 wurden acht Millionen Exemplare der „Apple Watch" verkauft5. Neben dem individuellen Spaß ermöglichen Wearables auch das Teilen von Informationen in Netzwerken. Mit der App LifeTime etwa werden Gesundheitsdaten auf Smartphones verwaltet; eine Hardwarebox ermöglicht das Importieren der Informationen des Arztes oder Krankenhauses.

Neben den Auswirkungen, die die Digitalisierung bereits auf die professionelle Leistungserbringung hat, bieten sich in diesem Bereich neue Möglichkeiten für Medizinisch-Technische Assistenten (MTA). Seit Jahren beweist diese Berufsgruppe digitale Kompetenz: Die Einführung gesetzlich vorgeschriebener Qualitätskontrollen, standardisiertes Tätigkeitsgebiet einer MTA – in diesem Fall jedoch für Apps – ist ein erstes Beispiel. Qualitätskriterien müssen entwickelt, gemessen und regelmäßig überprüft werden.

MBA


Weitere Informationen:

E-Health (Electronic Health) steht als Sammelbegriff für den Einsatz digitaler Technologien im Gesundheitswesen und ist der amerikanische Begriff für elektronische, also digitale Gesundheit.

M-Health (Mobile Health) ist ein Teilbereich von E-Health und steht für die Unterstützung medizinischer Verfahren durch mobile Geräte wie Tablets und Smartphones.

Apps (Applikationen) sind technische Anwendungen (Softwarelösungen), insbesondere in mobilen Geräten. Bequemer als PC-orientierte Lösungen ermöglichen sie das Erfassen, Interpretieren und Weiterleiten (medizinischer) Informationen.

Wearables bezeichnen tragbare Computer, die am Menschen befestigt werden: Hörgeräte und spezielle Brillen gehören zu den bekannten Wearables. Neu sind Fitnessarmbänder, Smartwatches, Activity Tracker und Kleidungsstücke mit eingearbeiteten, elektronischen Hilfsmitteln. Sie zeichnen Daten oder physiologische Funktionen auf, verarbeiten diese und übertragen sie an andere Computer. Ziel sind Self-Management und Prävention.

Quantified Self – beschreibt das Messbarmachen von Körperfunktionen durch Monitoring von Vitalwerten, gegebenenfalls in einem Netzwerk von Patient, Leistungserbringer und Infrastrukturanbieter. Dieser Trend führt zu einer stärkeren Patientenorientierung und Selbstbestimmung.


Quellen: 

1. Aktuelle Marktanalyse der Research2Guidance

2. Deloitte-Studie 2015 Global Mobile Consumer Survey 2015 

Bitkom (25.3.15 / 44 Millionen Deutsche nutzen ein Smartphone) 

Bitkom 2014 (Die Zukunft der Consumer Electronics – 2014) 

3. Repräsentative Studie „Informationsverhalten bei Gesundheitsthemen“, Gesellschaft für Innovative Marktforschung

IQTG (29.10.15 / Gesundheitsinformationen aus dem Internet) 

4. Apple Press Release (15.10.2015

5. Juniper Research (12.01.16)

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