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Einseitige Gesichtsnervenlähmung mit vielen Ursachen

Bei einer Bell-Parese ist die mimische Muskulatur einer Gesichtsseite gelähmt. © Hemera Technologies / AbleStock.com / Thinkstock

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Bell-Parese: Einseitige Gesichtsnervenlähmung mit vielen Ursachen

Die plötzlich auftretende, idiopatische Fazialisparese ist mit 25 neuen Erkrankungsfällen pro 100 000 Personen im Jahr die häufigste Form einer halbseitigen Gesichtslähmung weltweit. Verantwortlich ist ein Ausfall des siebten Hirnnerven Nervus facialis. Unbehandelt kann die Bell-Parese zu Defektheilungen der mimischen Muskulatur führen.

Auf einmal lässt sich das Augenlid nicht mehr vollständig schließen und die Mimik-Muskeln im Gesicht folgen nicht mehr den üblichen Bewegungen beim Lachen, Stirnrunzeln oder Augenbrauen hochziehen. Diese und weitere Symptome sind ein Zeichen für eine Bell-Lähmung, auch Fazialisparese genannt. Betroffenen jagt der plötzliche Ungehorsam der Muskeln auf der rechten oder linken Gesichtshälfte in jedem Fall Angst ein, dabei sind die Gründe des Ausfalls bis heute nicht vollständig geklärt.

„Es gibt deutliche Hinweise auf eine Herpes-simplex Typ 1 Infektion des Nervs“, sagt Dr. med. Alexander Nave von der Klinik und Hochschulambulanz für Neurologie der Charité Campus Mitte in Berlin. „Alle Altersgruppen können betroffen sein und relativ häufig sind es Patienten mit Diabetes mellitus.“

Durch die entzündlichen Prozesse kommt es bei der Bell-Parese zu einer Schwellung des Nervs im knöchernen Fazialiskanal. Durch die Kompression des Nervs im engen Kanal wird seine Funktion gestört und das obere und untere Gesicht beeinträchtigt. Die fehlende Möglichkeit zur Stirnrunzelung ist ein wesentliches Diagnosekriterium, um die periphere von der zentralen Parese zu unterscheiden. Hierbei sind die Musculi orbicularis oculi und frontalis betroffen, die vom linken als auch rechten Kern des Nervus facialis innerviert werden.

Symptome

© sframephoto / iStock / ThinkstockSymptome äußern sich zum Beispiel in einer Asymmetrie des Mundes. © sframephoto / iStock / Thinkstock

Die nach dem schottischen Chirurgen Sir Charles Bell benannte einseitige Gesichtslähmung beginnt innerhalb von Stunden mit vollständiger Symptomentwicklung über einen Zeitraum von circa 48 (24 – 72) Stunden, wobei ein Schmerz hinter dem Ohr oft ein Vorbote ist. Über Sensibilitätsstörungen wie Taubheitsgefühl in der Wange wird geklagt. Stirnrunzeln, Blinzeln oder Grimassen schneiden sind nur eingeschränkt oder überhaupt nicht mehr möglich. Schlimmstenfalls kann das Auge nicht mehr ganz geschlossen werden, gepaart mit drohender Austrocknung der Hornhaut (Kornea).

Weiter zeigen sich eine abgeflachte Nasolabialfalte, Asymmetrie des Mundes, Schmerzen im Bereich des Ohrs der betroffenen Seite, Hörstörung der betroffenen Seite (i. d. R. Hyperakusis) und Geschmacksveränderung der betroffenen Zungenseite sowie Störungen des Speichel- und Tränenflusses. Als „Bell-Phänomen“ bezeichnet man die Beobachtung der normalen Aufwärtsbewegung des Augapfels beim Versuch Betroffener, die Augen zu schließen. Hier ist der Augenringmuskel (Musculus orbicularis oculi) betroffen und der Lidschluss nicht oder nur unvollständig möglich (Lagophthalmus).

Diagnose

© Cylonphoto / iStock / ThinkstockZur Ausschlussdiagnostik kann ein MRT mit Kontrastmittel bei der Bell-Parese eine Anreicherung im siebten Hirnnerv zeigen. © Cylonphoto / iStock / Thinkstock

„Als Labordiagnostik wird eine Blutuntersuchung durchgeführt, um eine diabetische Grunderkrankung auszuschließen sowie eine Liquoruntersuchung zum Ausschluss einer Borrelieninfektion, wenn sich die Patienten in einem Gebiet mit endemisch befallenen Zecken aufgehalten haben“, erläutert Dr. Nave.

Weitere spezifische Diagnosemethoden gibt es nicht. In 25 Prozent der Fälle können weitere Ursachen einer Faszialisparese zugrunde liegen. So können etwa ein Schlaganfall oder Tumoren der Ohrspeicheldrüse zu einer zentralen Läsion des siebten Hirnnervs führen. Auch Herpesknötchen (Ramsay-Hunt-Syndrom durch eine Reaktivierung des Windpockenvirus im Rahmen eines Zoster oticus), Mittelohr- oder Mastoidinfektionen, Sarkoidose, Felsenbeinfrakturen, karzinomatöse oder leukämische Infiltration des Nervs, chronische Meningitis und Tumoren des Kleinhirnbrückenwinkels oder des Glomus jugulare können ursächlich sein. Außerdem kommen der Erreger des Pfeifferschen Drüsenfiebers (Epstein-Barr-Virus) sowie das HI-Virus in Frage, jedoch entwickeln sich diese Krankheiten langsamer.

Zur Ausschlussdiagnostik kann ein MRT mit Kontrastmittel bei der Bell-Parese eine Anreicherung im siebten Hirnnerv zeigen, wohingegen die CT bei Verdacht auf eine Fraktur (Längs- und Querfrakturen des Felsenbeins) oder Insult ratsam wäre. Schnittverletzungen im Gesichtsbereich sowie Operationen können ebenfalls zu Fazialisparesen führen.

Ein Röntgen-Thorax und die Bestimmung des Serum-ACE sind zur Untersuchung auf eine Sarkoidose sinnvoll, da die Autoimmunkrankheit mit dem Heerfordt-Syndrom assoziiert ist und eine beidseitige wiederkehrende Gesichtslähmung hervorrufen kann. Schließlich können beidseitige Gesichtslähmungen durch die vom Immunsystem vermittelte Krankheit Melkersson-Rosenthal-Syndrom sowie durch das Carey-Fineman-Ziter-Syndrom ausgelöst werden.

Prognose

Zur Ausschlussdiagnostik kann ein MRT mit Kontrastmittel eine Anreicherung im siebten Hirnnerv zeigen. © Cylonphoto / iStock / Thinkstock

In der Regel bilde sich die Gesichtslähmung in 80 bis 90 Prozent der Fälle innerhalb von circa drei Wochen bis drei Monaten selbständig zurück, so Dr. Alexander Nave.

Hierbei spielt das Ausmaß der Nervenschädigung eine wesentliche Rolle. Bei Erhalt einer Teilfunktion kommt es meist zu einer völligen Erholung innerhalb von einigen Monaten. Untersuchungen der Nervenleitgeschwindigkeit und Elektromyographie zeigen: Existiert im Gesicht noch eine normale Erregbarkeit auf eine supramaximale, elektrische Stimulation, kommt es in 90 Prozent der Fälle zu einer kompletten Erholung – fehlt die elektrische Erregbarkeit, erholen sich nur 20 Prozent der Nervenäste.

Die Regeneration der Nervenfasern kann auch negative Folgen nach sich ziehen – wenn die Nerven in die falsche Richtung wachsen. In dem Fall kann es sein, dass die unteren Gesichtsmuskeln durch periokuläre Fasern innerviert werden und umgekehrt. Eine Kontraktion unerwarteter Muskeln während willkürlicher Gesichtsbewegungen (Synkinesien) oder „Krokodilstränen“ während des Speichelflusses wären die Folge. Hier können dauerhafte Bewegungseinschränkungen entstehen.

Therapie

Das frühzeitige Einleiten der Therapie ist wichtig, da die Gesichtslähmung unbehandelt eher zu Defektheilungen mit Synkinesien führt. „Die Therapieziele sind die Rückgewinnung von mimischer Muskulatur durch Training mit Hilfe von Logopädie und selbstständigem Training durch Grimassieren“, erklärt Dr. Nave. „Eine medikamentöse Therapie erfolgt – sofern der Therapiebeginn innerhalb von drei Tagen nach den ersten Symptomen liegt – mit Cortison und nachrangiger antiviraler Therapie (Acyclovir/Valacyclovir, Anm. d. Red.). Einer Hornhautaustrocknung wird durch einen Uhrglasverband vorgebeugt.“

Zusätzlich wird dem Austrocknen der Kornea durch häufigen Gebrauch künstlicher Tränen, isotoner Salzlösung oder Methylcelluloseaugentropfen sowie durch intermittierendes Zukleben des Auges mit einem Pflaster oder einer aufgeklebten Kompresse, vor allem beim Schlafen, entgegengewirkt.

„In seltenen Fällen sind bei Persistenz der Symptome eine operative Therapie wie die Tarsorrhaphie nötig, einem temporären Verschluss der Lidspalte“, so Dr. Nave. Möglich ist auch ein Einsetzen eines Bleibandes in das Oberlid, damit es durch das Gewicht verschlossen wird.

Eva-Maria Koch


Weitere Informationen: Deutsche Gesellschaft für Neurologie, Leitlinien zur Therapie der idiopathischen Fazialisparese (Bell’s Palsy)

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